Eines dürfte klar sein: Kein RWE-Fan, der dem Spiel gegen Alemannia Aachen im erneut ausverkauften Stadion an der Hafenstraße beigewohnt hat, dürfte im Anschluss daran eine erholsame Nacht gehabt haben. Sofern man (und Frau auch) überhaupt einschlafen konnte, denn das Erlebte war in Summe dann doch zu aufwühlend. Es ist ja überhaupt nicht schlimm, ein Spiel zu verlieren. Aber wenn die spielerisch wirklich schlechtesten sechzig Minuten der letzten Dekade (Minimum) auf drei Elfmeter und eine verzweifelt couragierte Leistung in den dann noch verbleibenden 38 Minuten (inklusive Nachspielzeit) treffen, dann ist das nichts, was man einfach so als gegeben abhaken kann.

Das war ein echter Wirkungstreffer. Das war eine Mannschaft aus Aachen, die mit Anpfiff über uns hergefallen ist, wie irgendwelche fiesen Gestalten bei Game of Thrones über wen auch immer oder Urlauber im All-Inclusive-Cluburlaub über das Abendbuffet. Die wollten uns von Anpfiff an den Schneid abkaufen und haben ein wüstes Gepöhle initiiert, welches eigentlich mit Fußball nicht wirklich viel gemein hatte, aber das Spiel dreimal auf den Punkt gebracht hat. Und uns auf und neben dem Platz hat fassungslos werden lassen. Drei Elfmeter im eigenen Stadion gegen die eigene Mannschaft zu bekommen, die dann auch noch dreimal durch einen einzigen Spieler anders verwandelt werden, zudem wohl noch allesamt berechtigt: Das hat noch keiner von uns mitgemacht, das war eine komplett neue Challenge als RWE-Fan.

Das ging an die Substanz, hat bei einigen Fans schon wieder jegliche verbale Contenance in Richtung Gegenspieler und Schiedsrichter vergessen lassen. Die gehörten Beleidigungen habe ich wahrlich nicht vermisst. Es war somit ein Erfolg der Alemannia, der leider ohne wenn und aber verdient war. Selbst nach den beiden Anschlusstoren war die Hoffnung eher die, dass es schnell aufhört, als das noch der Ausgleich fällt. Was ja durchaus cool gewesen wäre, das Spiel inhaltlich dann aber endgültig auf den Kopf gestellt hätte.

Ich musste zwischenzeitlich unwillkürlich und ziemlich irrational an eine der ersten Szenen aus „Das Wunder von Bern“ von Sönke Wortmann denken: Im Ruhrgebiet rauchen die Schlote. Eine Brieftaube bringt Mattes und seinen Freunden die Nachricht von der Niederlage des RWE bei Alemannia Aachen. Nun rauchen die Schlote heute zwar nicht mehr, aber die Enttäuschung über das Spiel und den Spielausgang dürfte damals wie heute wohl ähnlich gewesen sein. Es ist nun mal so, wie es ist und im Anschluss prasselte von Fanmeinung bis Fachpresse natürlich der geballte Frust und das Unverständnis über die Leistung unserer Mannschaft auf diese nieder.

Aber jetzt kommt, was mich für die Zukunft dann doch wieder positiv stimmt, denn sowohl Trainer als auch Mannschaft waren und sind sich völlig klar darüber, dass das einfach nichts war. Wie ich finde, ein sehr wichtiges Signal, denn es zeigt, wie sehr man sich vor allem selbst über diese Leistung ärgert. Am Einsatz hat es glücklicherweise nicht gelegen, der war ja trotzdem da. Gelegen haben hingegen viel die Spieler der Alemannia, es hatte bisweilen durchaus was von Schauspielkunst, aber eher von goldener Himbeere als von goldener Henne.

Sinnbildlich für das verzweifelte Anrennen des RWE in den letzten Minuten hier vielleicht der Blick auf Tom Moustier, auch wenn er in der fachlichen Bewertung wie alle anderen auch nicht so gut davon kommt: Er hatte sicher auch schon bessere Tage, aber Tom Moustier hat einmal mehr ohne Ende geackert, sich mehrmals quer über den ganzen Platz für Einwürfe aufgemacht, den Ball verteilt, nach vorne getrieben, eine Fackel Richtung Tor gebracht, nebenbei das Publikum animiert. Zwischendurch kam wohl der Krampf, trotzdem wurde er direkt wieder angespielt und hat einfach weiter gemacht. Alles leider nicht von Erfolg gekrönt, aber eben auch eine kleine Randnotiz dieses gebrauchten Abends. Es war in Summe ein Spiel, welches meine eigene Erwartungshaltung im Vorfeld doch ziemlich torpediert hat: Ich habe ganz ehrlich mit einem Sieg gerechnet. Das war keine Form von Hybris, sondern einfach nur berechtigtes Vertrauen in unsere Mannschaft.

Ich habe dieses Vertrauen trotz rational nicht zu erklärender Niederlage auch weiterhin. Weil sich da gerade extrem an die eigene Nase gefasst und Tacheles geredet wird. Und weil nun auch das leidige Transferfenster geschlossen ist. Bis Weihnachten zieht es nicht mehr oder den ein oder anderen weg. Jetzt kann sich wirklich auf den Job konzentriert werden. Und der Verein hat die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, dass unsere Mannschaft das auch kann. Was unser Verein aktuell auch richtig gut kann, ist, Dinge anzupacken und aufzuarbeiten. Die Einlasssituation gegen Alemannia Aachen war dem Vernehmen nach auf allen Tribünen sehr entspannt und ging zügig voran. In Block G1 wurde zudem eine größere Gruppe Alemannia Fans, die sich durch mehrmaligen Torjubel selbst enttarnt hatte, kompetent und fast geräuschlos aus dem Block begleitet. Trotzdem und verständlich ein Ärgernis für nicht wenige Heimfans, welches sich wohl nie so ganz verhindern lässt. Außer gegen Hoffenheim Zwo womöglich.

Und dann gab es da noch dieses eine Wetterphänomen: Wenn es regnet, wird man unten in G1 eigentlich immer kladdernass. War ja auch beim ersten Schauer kurzzeitig so. Aber dass es dann über einen längeren Zeitraum hinweg mal kerzengerade runter regnet, dass haben wir in all den Jahren im neuen Stadion so auch noch nicht erlebt. Zuzüglich den hohen Temperaturen ergab das in Summe ein Klima ähnlich wie in einer Waschküche. Stadion an der Hafenstraße, hier erlebste einfach immer was Neues. Es geht nun weiter mit einem Testspiel gegen die Zwote des BVB, die unselige Länderspielpause macht es möglich. Und dann geht es in der Liga weiter mit dem Freitagabend bei Turnvatter Jahn in Regensburg, bevor mit dem VfL Osnabrück und Hansa Rostock die nächsten ausverkauften Gästeblöcke anne Hafenstraße anstehen. Das ist echt schon ein Privileg, Spieler von Rot-Weiss Essen sein zu dürfen.

Taubtrüber Ginst am Musenhain!