Eines ist klar: Selbst in einigen Jahren noch wird man diesen 22.08.2025 auf Fußballebene nicht mit dem Eröffnungsspiel der Bundesliga in Verbindung bringen, sondern mit dem verrückten 4:3 Auswärtserfolg unseres RWE im Wiesbadener Wellblechpalast. Vor allem aber hat dieses Spiel meine Frau darin bestärkt, dass irgendwas mit mir nicht stimmt, sobald der Anpfiff ertönt ist: „Wie kann man sich nur innerhalb von fünf Minuten von einem friedfertigen Mensch (Spielstand 1:3) zu einem völligen Asi (Spielstand 3:3) verwandeln um dann nach Abpfiff (Endstand 3:4) wieder der liebste Mensch überhaupt zu sein?“ Meine Theorie dazu ist ja: Liegt am Spielverlauf und äußert sich am Monitor schlimmer als im Stadion. So als Fußballfan ist man ja immer ein wenig auch Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Das kann echt anstrengend sein.

Nehmen wir die erste Halbzeit in Wiesbaden: Bei Rot-Weiss Essen lief irgendwie nichts zusammen. Also so wirklich nichts. Der SV Wehen Wiesbaden hätte 3:0 führen können, und wir hätten uns nicht beklagen dürfen. Ehrlicherweise hatte ich genau das befürchtet. Am Montag erst wurde die ganz große Bühne Fußball bespielt, prasselten jede Menge Lob und Anerkennung ob der gezeigten Leistung gegen den BVB auf unsere Mannschaft nieder. Dann blieben gerade einmal drei Tage, um mental umzuswitchen auf die sportlich unangenehme Aufgabe SV Doppel-W auf der eher provinziell wahrgenommenen Bühne Brita-Arena. Und dann kommt halt eine Halbzeit heraus, die in der Fehlerintensität meinen Latein Klausuren nicht unähnlich war.

Wie wir ja nun durch die Interviews nach dem Spiel wissen, hat es in der Halbzeit ordentlich gerappelt in der Gästekabine. Getreu dem alten Wacken Motto „Faster Harder Louder“ wurde die zweite Halbzeit begonnen und ein dermaßen druckvolles Spiel aufgezogen, dass den Wehenern fast das Wiesbaden abhanden kam, so sehr wurde man eingeschnürt. Wie bei uns fast schon üblich regelten erstmal die Männer der Defensive auch vorne. Diesmal erneut in Person von Rios Alonso, bevor dann die Offensivabteilung mit Mizuta und Arslan eine eigentlich komfortable Führung bescherte. Aber in diesem Spiel war nichts normal, nicht einmal der Support der RWE-Fans. Denn der war einmal mehr in dieser Saison außergewöhnlich, durchgehend und laut. Geradezu durchgehend laut. Ein wichtiger Baustein des heutigen Erfolgs!

Dass das sehr gut aufgelegte Kommentatoren Duo „Strassi & Ruppi“ vor lauter Begeisterung über das Spiel den Elfmeter gegen uns Jakob Golz zugeschanzt hat, ist dann doch eher exklusiv, denn da war eigentlich nichts außer einem cleveren Fall. Anschlusstreffer. Gefolgt von dem Ausgleich und aus dem Dr. Jekyll nach dem 3:1 wurde am heimischen Empfangsgerät wieder der Mr. Hyde der ersten Halbzeit. Es war aber auch der Bedeutung des Spiels geschuldet, da nach den ersten drei Begegnungen noch ohne einen Sieg auf der Habenseite. Wiesbaden somit schon der erste Wegweiser in der immer noch jungen Saison: Kann sich die Mannschaft auch mal belohnen, oder fährt man gar mit einer Niederlage heim, hängt unten fest und beginnt das Umfeld schon zu rumoren? Es stand also im wahrsten Sinne des Wortes sehr viel auf dem Spiel in diesem Spiel. Auch ein Unentschieden hätte ja ein gewisses Maß an Stillstand bedeutet.

Auf dem Feld ging es derweil weiter munter rauf und runter, inklusive einer achtminütigen Nachspielzeit. Mittlerweile auch Kelsey Owusu und Torben Müsel im Spiel. Ersterer bediente nun in 90+4 Mizuta und Mizuta dann Torben Müsel. Ein trockener Schuss ins pure Glück. Kollektive Ausraster in Block und auf der Bank inklusive. Und natürlich auch an den angeschlossenen Endgeräten. Die ersten drei Punkte der Saison sind eingetütet und können gleich mit vielen kleinen Geschichten aufwarten. Das war nicht nur ein Spiel, das war gefühlt der Inhalt für eine ganze Staffel RWE. Es war der Fußball mit all seinen ureigenen Facetten, die immer zwischen grausam und schön variieren. Es war der Fußball, der uns manchmal fast den Verstand raubt, aber sehr oft auch die Seele mit Wärme flutet. Heute mit Abpfiff war letzteres der Fall. Apropos flutet: Übernächsten Sonntag ist die Alemannia aus Aachen an der Hafenstraße zu Gast. Diesmal bitte keine gelben Trikots in die Heimbereiche lassen. Besser ist das.

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