Wenn der eher lakonisch veranlagte Grafschafter sich mal so richtig empört, dann steht dem meistens der innige Ausruf „Herrgott vun Bentheim“ vorne an. Oftmals ergänzt durch das wohl nur bei uns bekannte Wort „unwies“ als Steigerung für alles Mögliche. Die Kurzfassung des Auftritts unserer Roten am Aachener Tivoli aus Grafschafter Sicht würde also wie folgt lauten: „Herrgott vun Bentheim, dat weer unwies slecht“. Auf Hochdeutsch übersetzt: Zum Kotzen! Das war mal so gar nichts, was die Mannschaft von Rot-Weiss Essen ihren Fans, ihrem Arbeitgeber und sicher auch dem eigenen Ehrgeiz geboten hat.

Echt jetzt, da spielt man vor über 30.000 Zuschauern in der 3. Liga und lebt den Traum so vieler Fußballer, die es vielleicht nur nach Hoffenheim oder Wolfsburg und den dort andauernd geschönten Kulissen schaffen. Und dann kommt dabei eine dermaßen uninspirierte Mannschaftsleistung heraus, die uns alle in noch größere Abstiegsnöte stürzt, als es schon vor diesem Spieltag der Fall war. Jetzt ist die Kacke aber mal so richtig am Dampfen, um die Dramatik plakativ zu unterstreichen. Ist das jetzt die auf den Platz gebrachte Version von Fassbinders Sozialdrama „Angst essen Seele auf“ oder wie darf und muss man diese Leistung nach einer kleinen Aufbruchstimmung deuten?

Die Crux an der Sache: Die Aufbruchstimmung resultierte ja nicht einmal aus sportlich so wichtigen Erfolgen in der Liga, sondern zunächst aus der Verpflichtung neuer Spieler mit ordentlicher Vita, dem Charme von Lara und guten Leistungen aus den Testspielen gegen den FC Emmen/NL und Trainingsplatznachbar Dynamo Dresden. Wir sind halt leicht zu begeistern, wenn es um unseren Verein geht. Somit sind wir mit einer großen Portion Optimismus an den Tivoli gereist, oder haben es uns vor den Endgeräten bequem gemacht. Nur um dann bitter enttäuscht zu werden. Aber mal so richtig bitter! Nicht nur in Aachen hat man sich nach diesem Spiel vor Lachen über uns kaum eingekriegt, auch in Duisburg, Oberhausen, Gelsenkirchen oder wo auch immer man uns nicht mag, dürften die Korken geknallt haben.

Wir wissen alle, wie das Spiel jetzt laufen könnte, wenn wir da unten nicht gemeinsam rauskommen: Die Spieler spielen den Stiefel herunter und lassen ihre Berater dann am Ende der Saison halt etwas schickes Neues aussuchen. Rot-Weiss Essen möglicherweise ein Makel in der Karriere, aber wen interessiert das nach zwei- bis drei weiteren Stationen überhaupt noch? In der Branche sicherlich keinen. Aber sollten wir tatsächlich absteigen (werden wir nicht), dann wäre das für so viele Menschen rund um RWE mehr als ein kleiner Makel. Da hängen nicht wenige Arbeitsplätze dran. Im Verein selbst, aber vor allem auch rund um einen Heimspieltag. Da leiden Fans monatelang. Zudem würde die gerade erst wieder gewonnene junge Generation direkt vergrault, um sich dann möglicherweise doch lieber ein PSG-Trikot zu kaufen, weil hipp. Da ist man dann kein schlafender Riese mehr, der man vierzehn lange Jahre war, dann ist man nur noch ein riesiger Schlafender!

Es gilt also unsere Spieler aufzurütteln. Die mit Bock auf RWE vielleicht nur bedingt, die sollten wissen, was nun Sache ist. Aber andere, die sich vielleicht schon woanders wähnen, oder aktuell mit der Gesamtsituation unzufrieden sind, die muss man wieder motivieren, solange sie unser Trikot tragen. Das ist, ohne unserer Mannschaft ein Alibi geben zu wollen, auch der steten Unruhe im Profifußball geschuldet. Gefühlt sind die Phasen zwischen den geöffneten Transferfenstern mittlerweile so kurz, da lohnt sich ja nicht einmal mehr das Putzen. Ständig werden, vor allem auch von außen, Namen gehandelt, Bedarfe kommuniziert, Wechselabsichten offenbart. Für den Fan nur noch anstrengend, für den Verein eine Dauerbaustelle. Konstanz kann da einfach nicht mehr reinkommen. Eine Mannschaft hat mittlerweile kaum noch Zeit, überhaupt eine richtige Mannschaft zu werden, bei all dem Kommen und Gehen.

Wie schon erwähnt: Das darf in Summe nicht mal ansatzweise ein Alibi für unsere Jungs sein, warum wir gerade im Keller der Liga verweilen. Allein von der Zusammensetzung her müsste es doch locker zum Klassenerhalt reichen. Aber dazu braucht es vor allem ein Miteinander auf dem Feld. Spielen und Ackern für den Verein und die Mitspieler beispielsweise. Gerne nochmal bei Alemannia nachfragen, wie das gehen kann. Und ganz wichtig dabei: Das Runde muss in das Eckige!

Für uns Fans wird das kommende Heimspiel gegen die Zwote aus Hannover wahrscheinlich erstmal zu einem Gedankenspiel: Wie geht man es Sonntag als Fan überhaupt an? Früher gab es mal die Optionen Block freilassen, Fahnen verkehrt herum aufhängen oder einfach eine gewisse Zeit lang schweigen. Alles legitimer Ausdruck der Enttäuschung. Und sicher konstruktiver als Anpöbeln nach Abpfiff. Oder wir erleben den ganz anderen Ansatz: Die Mannschaft von Anfang an bedingungslos lautstark unterstützen. Am besten und ausnahmsweise mal von allen Tribünen zugleich. Es wird also kommenden Sonntag allein schon dadurch spannend werden, wie es sich atmosphärisch entwickelt. Zudem ist Sonntag, 13:30 Uhr per se nicht die beste Uhrzeit für Party auf den Rängen. Da möchte man nach dem Frühschoppen lieber ruhen. Bestenfalls nehmen sich also Mannschaft und Tribünen gegenseitig mit auf einen wilden Ritt gegen 96 Zwo.

Was auch immer wieder sehr anstrengend ist, sind temporär auftauchende Fanseiten, die glauben immer alles zu wissen, daraus Fakten herleiten wollen oder was auch immer. Ganz schlimm aber: Angebliche Kabineninterna zu leaken. Das hat nicht ansatzweise etwas von guter Recherche oder mit kompetenter (selbsternannter) journalistischer Arbeit zu tun. Das ist dann schlicht und ergreifend Clickbait vom Feinsten und nicht einmal ansatzweise der Gesamtsituation dienlich. Mehr als dienlich hingegen kommenden Sonntag wie schon im Hinspiel drei Punkte gegen den Nachwuchs aus Hannover. Dann, und wohl nur dann, kann wieder Zuversicht einkehren in die aktuell leidgeprüften Seelen all derer, die es gut mit dem RWE meinen. Denen Punkte wichtiger sind als Klicks. Und das sind wirklich richtig viele!

Diesen Text hatte ich schon eingestellt. Nach Stunden gelöscht. Verändert. Er kommt mir vor wie ein zähes Kaugummi. Vielleicht auch sinnbildlich für die eigene Last, die man gerade auch als Fan zu tragen hat. Da schreibt es sich nicht flüssig, wechseln die Gedanken zu oft, steht der Satzbau im Weg. Es ist also letztendlich nur der dringende Wunsch, das unsere Mannschaft spätestens Sonntag weiß, worum es geht. Und das wir von außen dabei helfen können. Vielleicht auch dadurch, mal nichts zu posten. Auch wenn man von jemanden gehört hat, der von einem erfahren hat, dass dessen Cousine beim Bäcker ein Gespräch über RWE mithören konnte…..

https://imschattendertribuene.com/2025/01/22/kampfen-und-siegen/