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Ex-Schalker Nassim Boujellab beim nächsten RWE-Gegner: „Gefühlt ist Havelse meine letzte Chance“

Quelle: waz.de
Essen/Garbsen. Ex-Schalker Nassim Boujellab will beim TSV Havelse vorangehen. Im Interview spricht er über seine Karriere und Derbygefühle gegen Rot-Weiss Essen.


Der langjährige Schalker Nassim Boujellab ist in diesem Sommer einen für viele Beobachter überraschenden Schritt gegangen. Im Interview erklärt der 26 Jahre alte gebürtige Hagener, wieso er sich für einen kleinen Verein wie den TSV Havelse entschieden hat und verrät, was er vorher noch nie in seiner Karriere erlebt hat. Beim Drittliga-Underdog, mit dem er am Samstag auf Rot-Weiss Essen trifft (14 Uhr/Magenta Sport), will er nach zwei Jahren bei Arminia Bielefeld Verantwortung übernehmen und sich zu einem Führungsspieler entwickeln. Denn Boujellab weiß genau, an welchem Punkt seiner Karriere er mit mittlerweile steht.

Herr Boujellab, Sie haben dem Trubel rund um Arminia Bielefeld, mit dem Aufstieg in die zweite Liga und dem sensationell erreichten DFB-Pokalfinale, den Rücken gekehrt und sich stattdessen dem sehr beschaulichen TSV Havelse angeschlossen. Wie groß war der Kulturschock?
Nassim Boujellab: Ich kenne das beschauliche Vereinsleben noch von meinen Jugendklubs. Viel wichtiger als ein hochprofessionelles Umfeld ist mir aber, wie die Menschen vor Ort sind. Wie arbeiten sie? Wie verhalten sie sich? Wie ist ihr Charakter? Nach etwas mehr als einem Monat kann ich sagen: So menschlich und ehrlich, wie es beim TSV Havelse zugeht, habe ich es in meiner bisherigen Karriere noch nicht erlebt. Es gibt wenige Vereine, bei denen man jedem Spieler gefühlt alles anvertrauen kann. Dieser Zusammenhalt wird uns am Ende ausmachen. Ich bin sehr dankbar und zufrieden, dass ich die Entscheidung für Havelse getroffen habe. 

 Nassim Boujellab (vorne) hat bereits mit Arminia Bielefeld gegen Rot-Weiss Essen gespielt.
Nassim Boujellab (vorne) hat bereits mit Arminia Bielefeld gegen Rot-Weiss Essen gespielt.
© FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann
Sprich, Sie haben sich in der Mannschaft gut eingelebt... 
Zu einhundert Prozent, ja. 

Kannten Sie einen oder mehrere Ihrer neuen Teamkollegen schon von anderen Stationen? 
Nein, aber es fühlt sich so an, als würde ich die Menschen schon lange kennen. 

TSV Havelse: Nassim Boujellab schwärmt von Trainer Samir Ferchichi

Was hat also letztlich den Ausschlag zu Ihrer Entscheidung für den TSV Havelse gegeben? 
Man muss ehrlich zu sich selbst sein: Ich habe immer bei größeren Vereinen gespielt, wo viel Trubel herrschte. Ich hatte keine Saison, in der ich komplett durchgespielt habe. Mal kam, wie im vergangenen Jahr in Bielefeld, eine Verletzung dazwischen. Mal hat es mit dem Trainer nicht gepasst. Ich war gefühlt immer derjenige, der sich in die Startelf gekämpft hatte und dann von einer Verletzung zurückgeworfen wurde. Mir war wichtig, dass ich in einen Profiverein komme, in dem es ruhiger ist und bei dem ich mich über eine längere Phase zeigen kann. Hier habe ich eher die Erlaubnis, ein Dribbling zu starten, das auch mal nicht funktioniert. Dann motzt mich mein Trainer Samir Ferchichi nicht direkt an und setzt mich auf die Bank. In der Vergangenheit habe ich damit, wie manche Trainer sich präsentiert haben und wie sie dann tatsächlich waren, nicht die besten Erfahrungen gemacht. Bei Samir Ferchichi habe ich gleich gemerkt, dass er so ist, wie er sich gibt. Das war mir deutlich wichtiger als die Rahmenbedingungen, die im Übrigen nicht so schlecht sind, wie sie manchmal dargestellt werden. 

„Für mich ist Havelse gefühlt die letzte Chance. Ich möchte nach oben kommen und der Fußballwelt zeigen, dass ich noch da bin.“
Nassim Boujellab
TSV Havelse
Sie haben bereits angesprochen, dass es in Ihrer bisherigen Karriere nicht immer optimal gelaufen ist. Sie sind jetzt 26 Jahre alt. An welchem Punkt sehen Sie sich gerade? 
Man hat ein stückweit immer noch im Kopf, ein Youngster zu sein. Aber das ist vorbei. Man muss reflektieren können: Ich habe von erster bis dritter Liga viel gesehen. Die Frage ist aber, wo man hinwill. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man nicht spielt, kommt man nicht nach oben. Für mich ist Havelse gefühlt die letzte Chance. Ich möchte nach oben kommen und der Fußballwelt zeigen, dass ich noch da bin. Deshalb war es mir wichtig, dorthin zu gehen, wo ich mich wohlfühle. Ich hatte auch andere Optionen, habe mich aber bewusst für den TSV Havelse entschieden. Ich möchte zeigen, was ich draufhabe. 

Wie sähe Ihr optimaler Karriereplan aus? 
Der optimalste Plan wäre es, mit dem TSV Havelse in die zweite Liga aufzusteigen (lacht). Nein, im Ernst: Wir wollen eine gute Saison spielen. Die dritte Liga ist eine Bühne, auf der nicht nur auf Scorer geschaut wird. Es geht darum, wie der Spieler auf dem Platz agiert. Ich bin selbstbewusst genug, um zu sagen, dass ich die Qualität habe, um mit dem TSV Havelse zu überraschen. Auch das war für mich ein Grund, hierherzukommen: Ich war noch nie in dieser absoluten Underdog-Rolle. Mit meinen ehemaligen Klubs, beispielsweise Schalke 04, waren wir, außer vielleicht gegen Bayern München, häufig Favorit. Auch mal als absoluter Außenseiter in ein Spiel zu gehen, ist ein Antrieb, den ich gebraucht habe. Persönlich ist mir erst einmal am wichtigsten, gesund zu bleiben, und der Mannschaft mit meinen Leistungen dabei zu helfen, Spiele zu gewinnen. Villeicht kann ich die dann auch mal entscheiden. Darum geht es mir aber nicht. 

 Fussball Testspiel, Hertha BSC Berlin - TSV Havelse
TSV Havelses Nassim Boujellab (rechts) und Trainer Samir Ferchichi tauschen sich aus.
© Michael Taeger/Jan Huebner | Michael Taeger
Nassim Boujellab will bei TSV Havelse Verantwortung übernehmen

Beim TSV Havelse dürfte Ihnen in der Tat eine deutlich zentralere Rolle zukommen als beispielsweise in Bielefeld. Sind Sie ein Anführer-Typ? 
Zu einhundert Prozent. Meinem Teamkollegen Julius Düker merkt man an, dass er genau das schon lange macht. Er übernimmt Verantwortung und ist ein Anführer. Ich halte es für gut, wenn ich ihn dabei unterstütze. Für mich ist diese Rolle neu, aber auch eine gute Erfahrung für meine Weiterentwicklung. Ich möchte die Jungs mitnehmen, meine Erfahrung weitergeben und ein Anführer sein. So soll es am Ende zum Vorteil für uns alle sein. Ich arbeite mich in diese Rolle hinein. 

Was haben Sie sich für diese Drittligasaison vorgenommen? 
Ich habe mir vorgenommen, Verantwortung zu übernehmen. Ich schieße die Standards. Ich würde mir auch die Elfmeter nehmen. Mir ist wichtig, dass die Jungs auch das Gefühl haben, dass ich vorangehe. Ich glaube, dass sich ein paar Spieler Dinge von mir abschauen. Da möchte ich nicht derjenige sein, der ein paar Schritte zu wenig macht, sondern vorangeht. Wenn ich immer 110 Prozent gebe, kommt uns das allen zugute. Nur mit harter Arbeit kann man Erfolg haben. 

Zum Saisonstart gab es ein 0:0 gegen den Mit-Aufsteiger TSG 1899 Hoffenheim II: Jetzt kommt mit Rot-Weiss Essen eine Mannschaft mit völlig anderer Ausgangslage. Wie erwarten Sie den nächsten Gegner? 
Rot-Weiss Essen ist ein schwieriger Gegner. Wenn sie in der aktuellen Phase den Teamspirit und das Selbstvertrauen haben, dann wird es schwierig, gegen einen solchen Gegner zu bestehen. Sie werden, im Gegensatz zu Hoffenheim II, die Situationen eher spielerisch lösen wollten, körperlich sehr robust auftreten. RWE ist eine sehr abgezockte Mannschaft mit viel individueller Klasse. Kaito Mizuta etwa war zu meinen Bielefeld-Zeiten ein Wahnsinnsspieler. Man darf uns aber nicht unterschätzen. Ich habe großes Vertrauen in unsere Mannschaft und unseren Trainer. Wir können mit jeder Mannschaft in der Liga mithalten. 

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TSV Havelse: Rot-Weiss Essen fühlt sich für Boujellab immernoch nach Derby an

Als langjähriger Schalker ist Ihnen die Feindschaft, die beide Fanlager pflegen, sicherlich geläufig. Kommen bei Ihnen, auch im Trikot des TSV Havelse, gegen Rot-Weiss Essen Derbygefühle auf? 
Ja, das bleibt für immer. Wenn man einmal bei Schalke war, dann geht so etwas nicht verloren. Deshalb kann ich schon sagen, dass es bei mir ein kleines Derbyfieber gibt. 

 Nassim Boujellab (links) hat es beim FC Schalke 04 bis in die erste Mannschaft geschafft.
Nassim Boujellab (links) hat es beim FC Schalke 04 bis in die erste Mannschaft geschafft.
© FUNKE Foto Services | Tim Rehbein/RHR-FOTO/Pool
Wie verfolgen Sie Ihren Ex-Klub Schalke 04 in der zweiten Liga? 
Wenn ich Zeit habe, verfolge ich eigentlich jedes Spiel von Schalke 04 und Arminia Bielefeld. Ich bin allgemein sehr fußballinteressiert.  

Sie waren lange ein begeisterter „EA FC“-Spieler. In der aktuellen Ausgabe haben Sie eine Bronze-Karte mit einer 63er-Bewertung. Können Sie damit leben? 
Das ist okay für mich. Mein Ziel ist es auf jeden Fall, noch eine Goldkarte zu bekommen. Mir ist aber auch bewusst, dass ich dafür höher spielen muss (lacht).  

Wo also wird der TSV Havelse am Ende dieser Saison stehen? 
Für uns ist wichtig, dass wir uns jetzt nicht auf einen Tabellenplatz, den wir erreichen wollen, festlegen. Wir müssen jedes Spiel gewinnen wollen und dann schauen, wo wir stehen. In Bielefeld habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir im ersten Jahr aufsteigen wollten und es dann nicht geklappt hat. Im zweiten Jahr haben wir von Spiel zu Spiel gedacht und haben dann auch unser Ziel erreicht. In Havelse ist unser Ziel natürlich ganz klar, in der Liga zu bleiben. Alles darüber hinaus wäre ein Bonus.        

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Bereitgestellt durch das RWE-Archiv • 10.08.2025