Wieder einmal haben wir den Beweis dafür erhalten, dass Rot-Weiss Essen der etwas andere, eben der besondere Verein ist: Normalerweise dauert eine energetische Sanierung hierzulande Wochen, meistens sogar Monate. Und da ist die Bürokratie im Vorfeld noch gar nicht mit eingerechnet. Rot-Weiss Essen hingegen schafft eine dringend notwendige Modernisierung in kaum mehr als neunzig Minuten: Mit einem im Vorfeld nicht ernsthaft zu erwartenden 4:0 wurde Tabellenführer Energie Cottbus ziemlich leidenschaftlich der Saft abgedreht.

Ich muss gestehen, ich hatte im Vorfeld dieser Begegnung richtiggehend Bauchschmerzen. Auch im Stadion selbst ließen die nicht nach. Wurden erst nach dem Tor zum überraschenden 1:0 durch Ramien Safi etwas gemildert, und ließen erst nach dem 4:0 durch Thomas Eisfeld (erinnerte ein wenig an das späte 1:0 gegen die Preußen in der vergangenen Saison) vollends nach. Schon nach dem 3:0 durch erneut Ramien Safi (erinnerte durchaus an das legendäre Lipinski Tor gegen die Blauen) konnte man vorsichtig an den Erfolg glauben. Vorsichtig deshalb, da wir eben der besondere Verein sind! Dazwischen lag noch das 2:0 durch Leonardo Vonić. Die Vorlagen von Ahmet Arslan und Eric Voufack werden wohl bald als Gemälde (Öl auf Leinwand) im Museum Folkwang ausgestellt, so schön waren die.

Die nun dem Cottbus Spiel vorausgegangene „englische“ Woche (lieber zwei englische Wochen als eine Länderspielpause) war aber in Summe auch einfach wie gemacht dafür, um nicht entspannt und voller Vorfreude den Weg an die Hafenstraße anzutreten. Dafür ist in diesen sieben Tagen in Summe einfach zu viel passiert. Das erleben manche Vereine in zehn Jahren nicht. Beginnend mit dem späten Ausgleich in Dresden nach furiosem Spiel unserer Roten über die (vielleicht etwas zu lang ausgefallene) Würdigung von Glockenhorst.

Dazu passend die Nichtleistung des Unparteiischen zuzüglich schlechter eigener Leistung gegen den SC Verl bis hin zu dem Zugüberfall der aus dem Nebel kommenden Einzeller irgendwo im nirgendwo. Und dann erst dieser Offenbarungseid als Mannschaft auf dem Spielfeld in Rostock. Alles genüsslich kommentiert von denen, die sich nach einem so hervorragenden Spiel wie dem gegen Energie Cottbus natürlich nicht im Forum blicken lassen. Drei Punkte und eine überzeugende Leistung der eigenen Mannschaft passen einfach nicht ins eigene Profil. Schlimm, wirklich schlimm!

Alles also ziemlich kacke, die Tabellensituation trotz engmaschiger Punktelage wie gemacht für eine veritable Schnappatmung Rot-Weiss und erste Verlustängste 3.Liga. Unter dem Strich zu sein, dass macht durchaus etwas mit einem. Vorzugsweise Sorgen, da kann man ansonsten noch so optimistisch sein. Und dann läuft unsere Mannschaft daheim auf und bietet plötzlich all das, was wir noch in Rostock schmerzlich vermisst haben: Leidenschaft. Kampf. Miteinander. Esprit. Taktische Ausrichtung. All das also, was Kirsche, Kaessman und Co. so überhaupt nicht gefallen haben dürften. Die taktischen Kniffe von Christoph Dabrowski und Kollegen waren so gut, dass ich als Laie erst nicht verstanden habe, warum man sich dermaßen weit ins eigene Feld zurückzieht.

Aber wenn selbst ein Vollprofi wie Claus-Dieter Wollitz das nicht einmal in Erwägung gezogen hat, dann war es ein ziemlich genialer Schachzug und ein weiterer Beleg dafür, dass modernes Coaching nicht mehr stumpf auf einer ersten Elf (Hallo Taxofit-Kappe) und ewig gleicher Ausrichtung beruht. Das war stark! Ebenfalls stark auch die Leistung der Fans von Energie Cottbus. Die umgedrehten Bomberjacken versprühten dieses gewisse 80er Jahre Gefühl, der Rhythmus insbesondere der mitgebrachten Snare Drums ließen auch nebenan bei uns in „G1“ schon mal die Füße wippen. Das hatte bisweilen viel Verve, ohne stimmlich zu brachial zu wirken. Ansonsten flog und brannte nichts und wurde sich somit in Gänze mit der Anfeuerung der eigenen Mannschaft beschäftigt.

Das eigene Vorurteil wurde somit nicht bestätigt. Irgendwie auch ganz wohltuend nach der Rostock Nummer. Und vielleicht können auch wir endlich das „vierzig Jahre“ Lied in die Mottenkiste packen und dafür eher was raushauen, was die „Rahn“ und die anderen Tribünen wirklich mitnimmt und zum Mitmachen animiert. Da wird manchmal sehr viel Potential verschenkt. Schließlich ist vorzugsweise die „Rahn“ noch immer der schlafende Riese, der viel öfter erweckt werden möchte. Aber dazu bedarf es im modernen Anfeuerungsfußball einfach öfter den Erweckungsmoment. Das von allein loslegen oder spielbezogen zu agieren wurde leider abtrainiert.

Um nochmal kurz auf die Fans von Energie Cottbus zurückzukommen: Vielleicht haben die nach der langen Anfahrt den Schlusspfiff gar nicht mitbekommen, da auch nach Abpfiff einfach weiter die Fahnen geschwungen und die Lieder gesungen wurden. Aber vielleicht war das auch einfach nur der Dankbarkeit geschuldet, endlich mal wieder an der Essener Hafenstraße zu Gast zu sein. Dankbar, vielleicht die Umschreibung der Essener Fanseele für dieses fulminante Spiel, für diese vier Tore und dieses sich in jeden Ball werfen. Dieses Spiel konnte auf RWE-Seite eigentlich nur mit einem Dieter-Hoeneß-Gedächtnis Turban enden.

Vielfach wird nun gehofft, das wir schon kommenden Sonntag in Aue nahtlos an die Leistung aus dem Cottbus Spiel anknüpfen. Da möchte ich zu bedenken geben, dass wir immer noch Rot-Weiss Essen sind. Und somit leider unberechenbar. Aber ich denke, die Mannschaft hat richtig Gefallen daran gefunden hat, als Einheit aufzutreten und uns Fans mitzunehmen. Es ist einfach so im Fußball, dass es immer nur miteinander und niemals gegeneinander geht. Und wenn wir das endlich verinnerlichen, schaffen wir vielleicht eines Tages auch wieder den Sprung in die zweite Bundesliga.

Apropos zweite Bundesliga: Als wir seinerzeit dort unterwegs waren, hatten wir noch das GMS und nicht den Luxus der vielen Parkplätze vor dem Stadion. Haben weiter vom Stadion weg geparkt. Und es gab immer stockenden Verkehr. Aber eine Verkehrssituation weit lange nach Abpfiff wie vergangenen Samstag habe ich so noch nicht erlebt. Die Hafenstraße gesperrt, die Massen gingen zu Fuß Richtung Bottroper Straße zu den dort wartenden Bussen oder den örtlichen Lokalitäten wie Hafenstübchen, Tanke oder Imbiss. Der Sulterkamp wie üblich bei hohem Gästefanaufkommen gesperrt. In der Krablerstraße warteten Stoßstange an Stoßstange die Taxen um dann auch nicht wirklich flott wegzukommen. Alles normal.

Aber selbst die „Vogelheimer“ in beide Richtungen eine einzige Blechlawine abreisender RWE-Fans inklusive holländischer Groundhopper, die mit sechs Mann in einem Kleinwagen lautstark ihrem harten Technobeat frönten. Wer es vergangenen Samstag wirklich eilig hatte, der hatte im Gegensatz zu RWE verloren. Die ganze Verkehrssituation rund um die Hafenstraße ein einziges Plädoyer für mehr mit dem Fahrrad zum Fußball. Alle in den Staus rund um das Stadion an der Hafenstraße waren aber trotzdem relativ entspannt unterwegs, was an diesem Nachmittag einzig der Leistung der eigenen Mannschaft geschuldet war. Gerne mehr davon! Das war einfach ein tolles Spiel anne Hafenstraße. Wann können wir unsere Liebsten im Stadion schon viermal vor lauter Freude über ein Tor in den Arm nehmen?

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